Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Feminismus [Broschiert]

Riot regiert noch immer «Lips, Tits, Hits, Power?» – Eine umfassende Geschichte von Feminismus und Popkultur Die Kulturkritikerinnen Anette Baldauf und Katharina Weingartner spannen in dem von ihnen herausgegebenen Buch «Lips, Tits, Hits, Power?» einen breiten Bogen der Geschichte junger Frauen im Kampf um Gleichberechtigung in Pop und Politik. Von aussen betrachtet möchte man meinen, das Riot-Girl-Ding sei längst vorbei: Einfach darum, weil junge Mädchen mit schweren Militärstiefeln und Puppenkleidchen nicht mehr so häufig zu sehen sind: Vor zwei, drei Jahren noch schien es für die moderne Jugendliche kein anderes Outfit zu geben. Deshalb mutet es im ersten Moment seltsam an, wenn die beiden Herausgeberinnen Anette Baldauf und Katharina Weingartner gerade jetzt ein Buch mit dem Titel «Lips, Tits, Hits, Power? Popkultur und Feminismus» auf den Markt bringen, auf dessen Cover auffällig das Wort «riot» (Aufruhr) prangt. Doch die darin enthaltenen 57 Beiträge ergeben zusammen das facettenreiche Bild eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins, das sich nicht auf Haarfarbe, Rocklänge und musikalische Vorlieben reduzieren lässt. Revolution Girls Style Das Buch handelt nicht von einem Trend oder einer kurzlebigen Mode, sondern vom Kampf junger Frauen um Gleichberechtigung im Musikbusiness genauso wie in der Sexualität oder am Arbeitsplatz, um physische und psychische Sicherheit, um Anerkennung und Mitspracherecht. Die Riot Girls mögen vielleicht dem Bild, das man während Jahren von ihnen hatte, nicht mehr entsprechen; was aber nicht heisst, dass es sie nicht mehr gibt. Die jungen Mädchen sehen jetzt vielleicht eher aus wie die Spice Girls, aber das hat schon auch seine Richtigkeit. Die Riot-Girl-Rebellion erhob sich Anfang der neunziger Jahre und schwappte schnell von Amerika nach Europa über, zuerst vor allem über die musikalischen Ikonen des «Revolution Girls Style» wie etwa die Frauenbands Babes in Toyland oder Seven Year Bitch, über die Sonic-Youth-Bassistin Kim Gordon, über Kathleen Hannah und ihre Band Bikini Kill und vor allem aber über Courtney Love. Courtney Love personifizierte alles, was die Riot-Grrrl-Bewegung ausmachte: Sie war, wie die MTV-Redaktorin Marcia Zellers in «Lips, Tits, Hits, Power?» schreibt, «ein prachtvolles Durcheinander: Sie verkörperte die Prahlerei von Mick Jagger, die schlüpfrige Herausforderung von Jim Morrison, die sexuelle Gefrässigkeit von Jimmy Page und den Scharfsinn von John Lennon. Mit anderen Worten, das genaue Gegenteil dessen, was eine Frau sein sollte.» Was die «normale» Gesellschaft an Love schockierend fand, wirkte auf viele junge Frauen imposant, faszinierend und nachahmenswert: Wie Love ihre Sexualität nicht verkaufte, sondern damit um sich schlug, wie sie auf die Konventionen, Regeln (und auf die Make-up-Vorlieben) einer von Männern dominierten Umwelt spuckte, wie sie beschloss, selbst zu bestimmen, wie man als Frau und Mutter zu leben hatte. Love funktionierte als Transportmittel auch deshalb so gut, weil sie sich durch ihre Ehe mit Kurt Cobain einen enormen Bekanntheitsgrad und durch ihre Band Hole eine tragfähige musikalische Reputation erworben hatte. Love war das Riot Girl überhaupt, allerdings reduzierte die Konzentration auf ihre Person die Rezeption der Bewegung auf Mode, Musik und Manieren. – Dem versuchen Baldauf und Weingartner mit «Lips, Tits, Hits, Power?» entgegenzuwirken. Was die beiden Kulturkritikerinnen aus Wien und New York in ihrem Buch zusammenfassen, wirkt auf den ersten Blick irritierend inhomogen: Die 46 Frauen (inkl. ein Mann), die darin zu Wort kommen, stammen aus den unterschiedlichsten kulturellen, ethnischen, sozialen, sexuellen, politischen und privaten Umfeldern, und dementsprechend vielfältig sind ihre Erfahrungen und Erkenntnisse. Ein gemeinsames Ziel Der Versuch der Herausgeberinnen, diesem qualitativen wie standpunktspezifischen Durcheinander mittels einer Kapitelordnung beizukommen, funktioniert nur sehr beschränkt; doch gerade aus der inhaltlichen und formalen Verschiedenheit der Texte ergibt sich ein breiter Bogen, der das Leben und die Forderungen junger Frauen in den Neunzigern umfassend umspannt. Im Verlauf des Buches fügt sich eins ins andere: Politik in Pop und Pop in Politik. Zwischen den Dutzenden fetzig illustrierter Bruch- und Teilstücken, Blickwinkeln und Standpunkten, den privaten Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen wird der rote Faden einer gemeinsamen Anstrengung, eines gemeinsamen Ziels sichtbar. Baldauf und Weingartner scheinen ihren Autorinnen keine formalen oder inhaltlichen Beschränkungen auferlegt zu haben, und so finden sich Songtexte neben kulturwissenschaftlichen Diskursen, Anleitungen für den Umgang mit Lesben neben der Analyse des Erfolgs weiblicher Popstars wie Madonna oder Grace Jones, Betrachtungen über grosse Nippel neben Abhandlungen der Rolle schwarzer Rapperinnen, Porträts von und Interviews mit Musikerinnen und Künstlerinnen neben der Zusammenfassung der Klischees über Asiatinnen, Instruktionen für die Herausgabe eines «Girl-Zines» neben einem Traum von einer Wohngemeinschaft mit Heike Makatsch. Am spannendsten lesen sich dennoch jene Beiträge, in denen es den Autorinnen gelingt, über die eigene Betroffenheit hinweg – und die ist immer irgendwie vorhanden – politische und kulturelle Zusammenhänge zu erkennen und sichtbar zu machen. – Die Riot Girls sehen nicht mehr aus wie Riot Girls; Courtney Love hat sich die Brüste operieren lassen, posiert für Hochglanzmagazine und sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, ihren Mann Kurt Cobain in den Tod getrieben zu haben. Aber die Popkünstlerinnen von 1998, die Spice Girls oder Tori Amos, Ani Di Franco oder Sheryl Crow, lassen keinen Zweifel daran, dass der «Revolution Girls Style» keine Mode von gestern ist: dass Frauen in der Popkultur, in der Politik und im Alltag noch einiges zu erobern haben. Und dass sie es erobern werden. Doris Knecht

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